Erinnerungen an das Hospiz zur Furche
Erinnerungen an das „Hospiz zur Furche“ in Bad Saarow
Den Begriff „Hospiz zur Furche“ hörte ich Anfang der 60-ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zum ersten Mal. Damals, im Konfirmandenalter, kann ich zunächst nicht viel damit anfangen. Aber das Haus an den Rehwiesen interessiert mich noch heute, fast 60 Jahre später.
Mein Vater ist seit 1962 beim Landesausschuss für Innere Mission (LAFIM) – dem damaligen Eigentümer des Hospizes – tätig. Da ich manchmal mit ihm unterwegs bin, lerne ich das Haus mit dem weitläufigen Gelände noch als Jugendlicher kennen. Gisela Cremer
leitet das christliche Erholungsheim. Gäste sind Gemeindeglieder und in der Vor- und Nachsaison kirchliche Gruppen und auch immer wieder ökumenische Tagungen.
1970 – ich bin inzwischen in Berlin in der Diakonenausbildung – lerne ich das Haus aus einer anderen Sicht kennen. Innere Mission und Hilfswerk unserer Kirche, heute sagen wir Diakonisches Werk, veranstaltet sogenannte Informationsfahrten. Auszubildende sollen die Arbeit der Diakonie in ihren Heimen für behinderte und alte Menschen kennenlernen. Die 50 Jugendlichen landen auch im Hospiz. Viele Jahre später schreibe ich in meinen diakonischen Lebenserinnerungen über diesen Tag: „Die Nacht verbringen wir im „Hospiz zur Furche“ in Bad Saarow (das Haus wurde nach der Wende (1996) wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse geschlossen), einem idyllisch gelegenen kirchlichen Erholungsheim.
Hier ist das Frühstück fast so, wie wir es von der Berliner Ausbildungsstätte her kennen: Die Wurstscheiben sind abgezählt, die Marmelade macht den Eindruck, als ob sie aus einem großen Eimer kommt und noch etwas verdünnt wurde. Erklärungen dafür gibt uns Werner Michalski, der damalige Direktor des LAFIM: Für die Arbeit mit den behinderten Menschen erhalten wir Geld vom Staat. In den Erholungsheimen müssen die Gäste aber alles selber zahlen.
Zuschüsse – auch von der Kirche – gibt es nicht. Unsere Idee vom Austausch untereinander, wiegelt er ab.“
Nach meinem Diakonenexamen werde ich als Kreisjugendwart in den Kirchenkreis Beeskow entsandt. Das Hospiz zur Furche bleibt praktisch in Sichtweite, aber ein Urlaub in dieser und in ähnlichen Einrichtungen ist finanziell für einen jungen kirchlichen Mitarbeiter mit Familie fast unmöglich. Zelten ist für meine Familie eine gute Alternative. Mit Kinder- und Jugendgruppen sind wir zu Rüstzeiten in den kircheneigenen Rüstzeitheimen, z. B. in Hirschluch oder Niewisch.
Nach 13 Jahren evangelischer Jugendarbeit ist mein neuer Arbeitgeber der Landesausschuss für Innere Mission mit seiner Geschäftsstelle in Potsdam. Mein Aufgabenbereich: Das Referat Erholungsfürsorge. Über meinen ersten Eindruck von der Arbeit schreibe ich später: „Als Referent bin ich zunächst zuständig für die Erholungsheime „Hospiz zur Furche“ in Bad Saarow, „Haus Wilhelmshöhe“ in Buckow, „Haus Gottesgabe“ in Buckow, „Haus Chorin“, in unmittelbarer Nähe der alten Klosteranlage, das „Lutherrüsthaus“ in Ferch und den „Sonnenhof“ in Waldidylle im Osterzgebirge. Die erste Woche vergeht. Nach und nach erfahre ich, wie es in den Häusern „so läuft“.
Das „Hospiz zur Furche“ ist gerade geschlossen. Eine Feierabendbrigade hat den alten Schornstein aus den 20-er Jahren abgetragen und mauert nun Abend für Abend einen neuen empor. Für Menschen ohne direkte DDR-Erfahrung der Hinweis: Zu jenen Zeiten war jeder Betrieb vom Staat bilanziert und konnte kaum selber entscheiden, wo er arbeitet, deshalb arbeiteten private wie kirchliche und diakonische Auftraggeber oft mit „Feierabendbrigaden“ oder auch einzelnen Bauschaffenden. Das war damals nicht etwa Schwarzarbeit, oftmals erhielt man sogar von den Räten der Kreise entsprechende Anschriften von Feierabendbrigaden.
Es war Mitte Januar 1985, als ich das Chaos auf der Baustelle zum ersten Mal hautnah erlebte. Die Maurer waren seit zwei Tagen nicht mehr gekommen, der Heizungsbauer hatte wichtigere Aufgaben, als in einem kirchlichen Erholungsheim zu arbeiten. Ab Ende März sollte das Haus wieder mit Gästen und Tagungen belegt werden. Die Auslastung in den sieben Erholungseinrichtungen zu steigern war auch meine Aufgabe! Das Wort Computer kannten wir nur aus dem Fremdwörterbuch oder im Zusammenhang mit Konrad Zuse. Ein Kopiergerät lernte ich bei einer Dienstreise 1979 in die Bundesrepublik kennen. In der DDR – Fehlanzeige.
Ich erspare mir – und auch späteren Lesern – die weitere Schilderung des Baugeschehens im Hospiz zur Furche. Wer in dieser Zeit noch nicht gelebt hat, oder nicht im östlichen Teil Deutschlands beheimatet war, findet sicher reichlich Gesprächspartner zum Thema Bauen in der DDR. Nach großen Anstrengungen von Mitarbeitenden und manchem Handwerker konnten ab Juni 1985 endlich wieder Gäste in das frisch renovierte Hospiz zur Furche kommen.
Vielleicht könnten sich auch heute noch Urlauber und Tagungsgäste in dem Haus an den Rehwiesen verwöhnen lassen, wenn es nicht 1989 die friedliche Revolution in der DDR gegeben hätte. Innerhalb weniger Monate war alles anders, nicht nur für die Menschen, sondern auch für das alte Hospiz zur Furche. Wer wollte nun – mit der Deutschen Mark in der Tasche – noch in der Mark Brandenburg Urlaub machen? Auch Tagungen suchten sich Ziele in anderen Gegenden unseres wiedervereinigten Deutschlands oder sogar im Ausland. Wie sollte das Erholungsheim wirtschaftlich überleben? Mit den politischen Veränderungen kam aber auch noch eine andere wichtige Erfahrung in die neuen östlichen Bundesländer. Überall suchten Bundesbürger nach möglichem ehemaligem Eigentum an Grund und Boden in der vergangenen DDR.
Hier ist nun ein Blick in die Historie vom Hospiz zur Furche interessant.
Alles fängt 1920 mit Georg Michaelis, geb. am 8. September 1857 in Haynau, Schlesien, gest. 24. Juli 1936 in Bad Saarow, an. Er war Jurist und Politiker und vom 14. Juli bis 1. November 1917 für dreieinhalb Monate Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident.
Michaelis engagierte sich in der Leitungsebene der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV). An seinem Sommerwohnort Bad Saarow ließ er nach dem Kauf eines 33 000 qm großen Waldgrundstückes ein Schulungszentrum für Studenten auf dem Grundstück „An den Rehwiesen“ errichten. Die provisorischen Bauten waren ein Versammlungshaus aus Holz für fast 1000 Hörer, eine recht einfache Küche, eine ehemalige Kriegsgefangenenbaracke und Plätze zum Essen im Freien.
Schon sehr bald merkte man: Es fehlt ein massives Gebäude für Schulungen und Freizeiten in den kälteren Jahreszeiten. 1921, in der schweren Inflationszeit, erhält Architekt Emil Kopp (* 1848 in Potsdam; † 1928 in Bad Saarow – er war auch 1911 der Architekt des Bahnhofs von Bad Saarow) den Auftrag ein solches Haus zu errichten.
Sein Sohn Ernst war an dem Auftrag beteiligt. Das „Hospiz zur Furche“ wird gebaut. Doch zunächst heißt das Haus nur „Zur Furche“. Für damalige Zeiten ist es schon sehr modern, sogar mit einer Zentralheizung ausgestattet.
Zur Sicherstellung der Versorgung der studentischen Treffen wird von einer Schenkung aus Amerika an den DCSV das Vorwerk des Gutes Saarow, der Hof Marienhöhe, erworben.
Die Jugendlichen kommen zum größten Teil mit der bis 1945 verkehrenden Kleinbahn, die nur wenige Meter vom Haus entfernt einen Haltepunkt hatte.
Die Leitung überträgt Georg Michaelis Oberin von Holbach. In der Chronik ist zu lesen: „27 Jahre lang hat sie ihren segensreichen Dienst getan und hat gewiss vielen Menschen durch Gottes Wort und durch ihre barmherzige Liebe geholfen.“ Zunächst war geplant „die Furche“ nur für studentischen Treffen zu nutzen. Sehr bald wurden aber auch Privatgäste aufgenommen. Die wirtschaftliche Situation ließ eine alleinige Nutzung nur durch den DCSV nicht zu.
Ende der zwanziger Jahre trat „Die Furche“ dem christlichen Hospizverband bei. Seit dieser Zeit ist der Name „Hospiz zur Furche“. Hospiz nannten sich damals alle christlichen Hotels auch über Deutschland hinaus. Erst seitdem der Begriff „Hospiz“ für Einrichtungen verwandt wird, in denen Menschen ihre letzte Lebensphase leben können, wurde der Begriff „Hotel“ für die Christlichen Erholungseinrichtungen und Beherbergungsstätten eingeführt.
Über die Arbeit in der Furche wird ausführlich in der Chronik berichtet: „In den Sommermonaten fanden große und kleine Freizeiten der Studenten statt und auch solche für andere christliche Jugendvereine. Ein besonderes Ereignis waren die Weltbundtagungen des Christlichen Vereins junger Männer (CVJM), die unter großer Beteiligung hier stattfanden (800-1000 Jugendliche). Das waren ganz besonders eindrucksvolle Tage; nicht nur für die Jugend, die daran teilnahm, sondern auch für den Ort selber….“
Das Wesentliche dieser Tagungen war die Gemeinschaft unter Gottes Wort und die Verkündigung des Wortes Gottes von Männern, deren Namen uns heute noch gut bekannt sind. Ich denke an den jetzigen Bischof Hanns Lilje, Pastor Paul Le´Seur, Jurist Reinold von Thadden-Trieglaff und Pastor Robert Frick.
Zu Beginn des Tages wurde die Kirchenfahne bzw. die Fahne des CVJM gehisst und Lob- und Danklieder erklangen zur Ehre Gottes in den frühen Morgen hinein. Draußen wurde das Frühstück eingenommen und danach sammelten sich die Gruppen zur Bibelarbeit. Was in den kleinen Gruppen erarbeitet worden war, wurde dann zusammengetragen, so dass Gottes Wort verständlich und reichlich ausgeschöpft wurde. Im Anschluss an die Bibelarbeit bildeten sich Singkreise und es wurde manch neues Lied gelernt. Wie lockte der Wald dann zu großen Wanderungen oder der See zum Baden! Die Nachmittags- und Abendstunden galten vor allem den Einzelgesprächen.“
Mit Beginn des Dritten Reiches stand die Arbeit der DCSV unter Beobachtung. Schon 1934 wurden erste Einschränkungen der Arbeit deutlich. Seit 1934 versuchte der Staat den Besitz von Jugendverbänden, die nicht zum Machtapparat des Dritten Reiches gehörten, zu beschlagnahmen. Die Christliche Studentenvereinigung bot daher das gesamte Anwesen dem Provinzialausschuss für Innere Mission (PAFIM) zum Kauf an. 1936 wurde die Immobilie an den Rehwiesen zunächst Eigentum des Brandenburgischen Herbergsverbandes, später des PAFIM. Damit konnte die Arbeit im Hospiz bis in die ersten Kriegsjahre fast ungehindert fortgeführt werden.
Ab 1940 wurden viele Menschen aus dem Baltikum, die deutsche Wurzeln hatten, aus ihrer Heimat evakuiert. Sie fanden zum Teil im Hospiz eine Zuflucht. Die alten Holzbaracken wurden von der Deutschen Wehrmacht beschlagnahmt, mit einem hohen Stacheldrahtzaum umgeben und für die Unterbringung von gefangenen Franzosen genutzt.
Noch während des Krieges im Jahr 1945 konnten die Menschen aus dem Baltikum auf Veranlassung der Inneren Mission in das Altersheim „Haus Wilhelmsdorf“ nach Brandenburg an der Havel evakuiert werden.
Über die letzten Kriegsmonate steht in der Chronik: „In den letzten Kriegswochen 1945 stand Saarow unter schwerem Beschuss und in das Hospiz zog die deutsche Wehrmacht ein. In diesen Frühlingstagen fanden viele deutsche Soldaten und auch Saarower Familien hier im Ort den Tod. … Ende April 1945 nahmen die Russen Besitz von Bad Saarow und auch in unser Haus zogen sie ein. … Nach großer Mühe gelang es Pastor Theodor Wenzel (Direktor des Provinzialausschusses für Innere Mission) 1947, das Haus wieder seinem eigentlichen Zweck zurückzuführen. … Wie das ehemals so schöne, gepflegte Haus nach den Kriegsjahren aussah, brauche ich wohl nicht näher zu beschreiben.“
Im Herbst 1947 konnte die Arbeit im Hospiz zur Furche wieder aufgenommen werden. Kinder aus allen Landeskirchen der späteren DDR fanden hier in sechswöchigen Kuren Erholung. Diese wurden von der damaligen Sozialversicherung, den Eltern und den Kirchengemeinden finanziert. Im Haus waren eine Kindergärtnerin und mehrere Haustöchter angestellt. Die Haustöchter erlernten in einem vordiakonischen Jahr Hauswirtschaft und die christliche Arbeit mit Kindern.
1948 übernimmt Gisela Cremer die Leitung der Furche. Sie schreibt in der Chronik: „Unsere Liebe und Pflege galt den 25-30 Kindern, um ihnen nach dem furchtbaren Kriegsgeschehen wieder Freude und Kraft zu schenken. Im Mittelpunkt des Vormittags stand eine gemeinsame Morgenandacht. Wir sangen viel und lernten aus den biblischen Geschichten, wie Gott seine Kinder durch alle Not hindurchbringt und einen neuen Anfang schenkt, wo man ihm vertraut. Eine große Hilfe und ein wunderbarer Segen waren die Hilfswerkspenden. Wir wurden sehr reichlich mit Lebensmitteln versorgt. Wer kannte 1949 wohl Schokolade, Kakao, Butter, Käse, Haferflocken, Weizenmehl und Vollmilchpulver?“
Ausführlich beschreibt Gisela Cremer die Geschichte von Mucki, einem Esel, der über Umwegen aus der Eselzucht von Prof. August Bier aus Sauen zu ihnen kam. Bis das Haus 1963 einen „Wartburg“ geschenkt bekam, leistete Mucki treue Dienste bei Einkäufen, Gartenarbeit und kleinen Fahrten mit Kindern.
Ab 1954 gibt es erhebliche politische Probleme bei der Kindererholung. Kirchlichen Einrichtungen wird diese Aufgabe durch die DDR-Regierung untersagt. Ins Hospiz kommen dafür immer mehr Erholungsgäste und eine neue Arbeit beginnt. Neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges findet in der Furche die erste Ökumenische Tagung auf Einladung von Präses Kurt Scharf statt. Die Bedingungen dafür waren spärlich, aber „die Glaubenszuversicht und die Brüderlichkeit unter den Gästen“, so Gisela Cremer, „ersetzte äußerliche Mängel“.
Von Bau- und Renovierungsarbeiten in all der DDR-Zeit könnte man Seiten in diesem Bericht füllen. Mit viel Einsatz, und vielleicht auch mit etwas Westkaffee, gelingt es Gisela Cremer mit ihren getreuen Mitarbeitenden das Hospiz zur Furche über die Jahre zu einem für DDR-Verhältnisse modernen Tagungs- und Erholungsheim umzubauen. Der Speisesaal und die Küche werden erweitert, das Umfeld neugestaltet, die Zimmer modernisiert, neue Möbel angeschafft.
Das Hospiz wird eine gefragte Adresse für kirchliche Gemeinde- und Mitarbeitergruppen, die Bischöfe tagen regelmäßig hier und manche ökumenische Tagung mit Gästen aus aller Welt ist im Haus an den Rehwiesen zu Gast. Für die DDR-Verantwortlichen wird die ökumenische Arbeit der Kirchen immer mehr zu einem willkommenen Anlass sich selber und die Errungenschaften der erst jungen DDR positiv darzustellen. Bei aller Knappheit von Baumaterialien und Handwerker-Kapazitäten, aber auch hochwertiger Lebensmittel, führen diese Tagungen aus heutiger Sicht zu grotesken Situationen. Anfang der achtziger Jahre ist das Dach undicht und dringende Reparaturen können wegen der beschriebenen Mängel nicht ausgeführt werden. Da drohte der damalige Leiter, Diakon Paul Schröder, beim Rat des Kreises Fürstenwalde mit der Absage einer bevorstehenden internationalen Tagung im Hospiz, weil es ins Haus reinregnet. Es dauerte nicht lange, und eine Dachdeckerfirma – von Kreis und Bezirk beauftragt – deckte das Dach völlig neu. Und damit die ökumenischen Gäste auch bestens versorgt werden können, dürfen die Verantwortlichen aus einer besonderen Staatsreserve hochwertige Lebensmittel und Konserven bestellen.
Am 6. Oktober 1969 wird auf der gegenüberliegenden Seite der Straße das „Nathan-Söderblom-Haus eingeweiht. Es ist ein Geschenk der Ökumene und der Kirchenkreise des Cottbusser Sprengels unserer Landeskirche an Generalsuperintendent Dr. Günter Jakob zu seinem 60. Geburtstag am 8.2.1966. Der Bau des zum größten Teil aus Fertigteilen bestehenden Hauses hatte fast drei Jahre gedauert. Hier finden unter der Leitung des Bad Saarower Pfarrers Günter Bransch von nun an Retraiten (Einkehrtage) statt. Wirtschaftlich ist dieses Haus dem Hospiz angegliedert. Dadurch wird es auch möglich, zu einigen Zeiten weitere Erholungsgäste aufzunehmen.
Von einer besonderen Tagung – für damalige Zeiten jedenfalls – soll noch die Rede sein. Im Februar 1974 tagte der Exekutivausschuss des Ökumenischen Rates aus Genf mit 53 Teilnehmern im Hospiz. Frau Cremer-Grosser hat sich die Mühe gemacht und in die Chronik all die Menschen, die aus allen Erdteilen nach Bad Saarow gekommen waren, mit ihrem Namen aufzuschreiben. Neben dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates war es auch unser späterer Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker. In diesen Tagen erlebte Bad Saarow, was es für die DDR heißt, Gäste aus aller Welt zu haben: Polizeischutz bei allen Fahrten zu den Empfängen der Kirchenleitung und des Staates in Frankfurt an der Oder und Begleitung durch Pressefotografen. Die Bad Saarower konnten, vielleicht zum ersten Mal, Menschen aus aller Welt in ihrer landestypischen Kleidung bestaunen.
Im Mai 1976 geht Gisela Cremer-Grosser – nach 28 Jahren im Hospiz zur Furche – in den Ruhestand. Ulrike Mertens übernimmt die Leitung. Immer mehr spitzt sich nun die Suche nach geeigneten Mitarbeitenden zu. In den volkseigenen Betrieben wird nicht nur besser bezahlt, hier ist auch meistens nicht abends und an Wochenenden und Feiertagen zu arbeiten. 1980 übernimmt Diakon Paul Schröder aus Eisenach mit seiner Frau die Leitung des langjährigen Erholungsheimes. Noch Ende der achtziger Jahre wird mit viel Engagement für Mitarbeitende des Hospizes neben dem alten Sommerhaus ein Mitarbeiterwohnhaus gebaut.
Wenn 1989 die Menschen in der DDR nicht mit ihren vielfältigen Forderungen auf die Straße gegangen wären und durch die Friedliche Revolution die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht hätten, wäre das „Hospiz zur Furche“ sicher auch heute noch Tagungs- und Erholungsheim. Doch es kam glücklicherweise für die Menschen in unserem Land anders.
Für das Hospiz sind der 9. November 1989 und der 1. Juli 1990 entscheidende Tage. Welch „gelernter DDR-Bürger“ wollte bei nun offenen Grenzen Urlaub im beschaulichen und vielleicht etwas verschlafenen Bad Saarow machen und das Ganze dann auch noch mit der Deutschen Mark bezahlen? Heute, im „Corona-Jahr 2020“, gäbe es vielleicht wieder Gäste.
Während nach ersten Reisen in die Ferne dann doch Erholungsgäste und Tagungen in die Furche zurückkamen, gab es erneut Verunsicherungen. Wie an vielen anderen Stellen auch, meldete sich der Alteigentümer von 1936: die Evangelische Studentengemeinde: Das ist doch unser Haus! Der Landesausschuss für Innere Mission (LAFIM) – Träger des Hospizes über die Jahrzehnte – prüfte in dieser Zeit auch andere Verwendungen für das Haus.
Zuvor wurde aber am 31. Oktober 1992 ein mehrfaches Jubiläum – gemeinsam mit der Kirchengemeinde – im Hospiz gefeiert: 110 Jahre Landesausschuss für Innere Mission, 90. Kirchweihjubiläum der Pieskower Kirche und 70. Kirchweihjubiläum der Kirche in Bad Saarow. Was in den Jahrzehnten vorher nicht möglich war, geschah an diesem Nachmittag. Pfarrer und Landrat, Vertreter des Gemeindeparlaments und kirchliche Mitarbeitende saßen gemeinsam an einer Kaffeetafel und ideologische, parteipolitische Reden waren nicht zu hören.
Erst 1996 kam dann die endgültige Absage des Amtes für Bevölkerungsschutz des Landkreises Oder-Spree, dass ein Aussiedlerheim in dem Hospiz zur Furche nicht möglich sei. Der Landkreis musste zu dieser Zeit jährlich 600 deutschstämmige Bürger aus ehemaligen Staaten der alten Sowjetunion aufnehmen. Die offizielle Begründung für die Ablehnung waren Brandschutz-Bedenken. Im Haus gäbe es zu viele Holzbalkendecken. Außerdem hätten die Fensterscheiben mit Sicherheitsglas versehen
und das Gelände mit einem 1,80 m hohen Sicherheitszaum umzäunt werden müssen.
Mit einer Abschiedsveranstaltung im Hospiz zur Furche, zu der nochmals ehemalige Gäste eingeladen waren, beendet der LAFIM die Arbeit im Haus offiziell am 2. Oktober 1996. Gleichzeitig gibt es zwischen dem LAFIM und dem Verein der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland einen Rechtsstreit über die Rückgabe der Immobilie. Er endet erst im Februar 2006 mit einem gütlichen Vergleich. Am 4. Dezember 2008 teilt der Verein der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland dem LAFIM mit, dass das Grundstück verkauft sei.
Das Nathan-Söderblom-Haus, im ehemaligen Gemüsegarten des Hospizes gebaut, wird abgerissen. Heute stehen dort neue Gebäude.
Das „Hospiz zur Furche“ macht seit Jahren einen heruntergekommenen Eindruck. Immer wieder tauchen in der Presse Meldungen über Umbaupläne auf. Ob wirklich Wohnungen im Haus entstehen, werden die alten Bad Saarower und die neuen Nachbarn der alten „Furche“ sicher mit Interesse beobachten.
Wenn ich in der Nähe bin, fahre ich alle paar Jahre mal an die Rehwiesen – so wie vor rund 60 Jahren. Ich erinnere mich an alte Zeiten und hoffe irgendwann noch eine „erneuerte Furche“ zu sehen – im alten Bad Saarow.
Wie viel segensreiche Arbeit an Studenten, Flüchtlingen aus dem Baltikum, Kindern nach dem Krieg, Erholungsgästen in diesem Haus geschah können nur die, die in diesem Haus weilten, sagen. Tagungsgäste aus vielen Ländern unserer Erde haben vielleicht Erinnerungen aus dem Bad Saarower „Hospiz zur Furche“ mitgenommen und davon erzählt. Das Geld hat Georg Michaelis 1920 gut angelegt – Danke!
– Diakon Horst Gürtler mit freundlicher Zurverfügungstellung des Bildmaterials im September 2020